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Rohfaserproduktion

Neunzig Prozent des Baumwollanbaus der Türkei finden an der West- und Südküste sowie den Ebenen des Hinterlandes statt. Große Monokulturen liegen in den Tälern von Bakircay und Gediz, Küçük und Büyük Menderes und im Schwemmlandgebiet von Çukurova.

Seit einem großen Schädlingsbefall durch Weißfliegen im Jahr 1975 wird das Land nicht mehr so stark bewässert wie früher und es werden neben Baumwolle auch andere Anbauten vorgenommen [46]. Vielfach findet eine geregelte Fruchtfolge statt (132).

Die Bedeutung türkischer Baumwolle ist in den letzten Jahren gestiegen, mengenmäßig liegt die Produktion über der von Ägypten oder Mexiko. Baumwolle ist dadurch die wichtigste Industriepflanze der Türkei, die Hälfte der Ernte wird in das Ausland exportiert. Auf dem Weltmarkt kostet ein Kilogramm Rohbaumwolle zur Zeit (Dez. 95/Jan. 96) etwa 2,60 DM. Zunehmend wird die Faser aber auch von der expandierenden Textilindustrie vor Ort verarbeitet. In 1990 wurden aus der Türkei 7.980 Tonnen Herren- und Knabenoberbekleidung aus Baumwolle im Wert von 285 Mio. DM importiert (Gewebe und Maschenware) [18].

Die Baumwolle für das ,,fiktive`` Hemd wird in der türkischen Region Çukurovagif in kontrolliert biologischem Anbau auf Flächen produziert, die seit vielen Jahren schon in einem Fruchtfolgeplan (132) eingebunden sind. Es werden keine Pestizide (222) und auch kein Kunstdünger (223) eingesetzt, Schädlinge werden durch die Stärkung von Nützlingen bekämpft. Zur Erntezeit werden die Samenhaare manuell gepflückt, Entlaubungsmittel kommen daher nicht zum Einsatz. Das Unternehmen ist Mitglied im Arbeitskreis Naturtextilien e. V. und wird von der Kontrollorganisation SKAL gemäß den Richtlinien der IFOAM (Internationale Organisation des organischen Landbaus) (133) kontrolliert [47].

Für die Produktion von einem Kilogramm Rohfaser werden 15 MJ Energiegif (111) in Form von elektrischem Strom für Bewässerungspumpen und raffiniertem Öl für den Betrieb von Aggregaten und Transportmitteln verbraucht. Die zur Stromerzeugung genutzte Braunkohle (64 % Anteil an Jahresstromerzeugung 1991 [2]) und das Rohöl (24 %) sind als nicht-regenerierbare Energiequellen (1211) damit verloren. Immerhin 11 % der erzeugten Stromes stammen aus Wasserkraft.

Der Wasserbedarf (141) wird wegen des praktizierten Bewässerungsanbaus mit 25 m tex2html_wrap_inline2957 pro Kilogramm Rohbaumwolle veranschlagtgif.

Für die Textilherstellung sind nur 42 % der geernteten Saatbaumwolle zu gebrauchen, wobei lediglich ein Drittel der Fasern den für Feintextilien geeigneten Lint ausmachen. Der restliche Linters (Kurzfasern) wird zur Herstellung von Zellulose-Chemiefasern eingesetzt (1511). Von 1000 kg Trockenmasse entfallen 420 kg auf Rohfasern, 200 kg auf Saatkuchen, 110 kg auf Öl, 210 kg auf Schalen, 20 kg auf zurück behaltenes Saatgut und nur 40 kg auf Verunreinigungen (151) [11].

Saatkuchen als Futtermittel, Öl zur technischen Nutzung und die Schalen für eine energetische Verwertung stellen nutzbare Kuppelprodukte (1511) bei dem Baumwollanbau dar. Lediglich die Verunreinigungen in Form von Erdanhängen und Pflanzenteilen sind nicht nicht nutzbar.

Immissionen (211) treten bei dem Baumwollanbau nur mittelbar durch die Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen und in Verbrennungsmaschinen auf und sind nicht quantifizierbar. Lärmimmissionen durch landwirtschaftliche Maschinen und Geräte fallen nur ins Gewicht bei Betrieben mit veraltetem Maschinenpark.

Gasförmige Emissionen (221) entfallen weitgehend. In Frage kommen lediglich die Abgase aus Verbrennungsmaschinen, deren Einflußgröße ebenfalls nicht quantifizierbar ist. Ob mit der Nutzung von tierischen Exkrementen zur Düngung auch eine erhöhte Distickstoffemission verbunden ist, konnte nicht ermittelt werden. Wegen des Verzichtes auf Pestizide und Kunstdünger entfallen die flüssigen (222) und festen (223) Emissionen.

Wie eingangs erwähnt, ist im Laufe der Zeit die natürliche Vegetation (3112) in der Türkei zugunsten der Kulturanbauten zurück gedrängt worden. Welchen Flächenanteil diese Verdrängung hat bzw. ob und welche Wildpflanzen dabei ausgerottet wurden, konnte nicht ermittelt werden.

Daten über Arbeitsqualität, -zufriedenheit und -unfälle konnten nicht ermittelt werden. Weil Pestizide und Kunstdünger nicht benutzt werden, wird die Schadstoffbelastung (441) am Arbeitsplatz als minimal angenommen. In jedem Fall bleiben die im konventionellen Anbau üblichen Vergiftungen der Arbeiter mit Agrarchemikalien aus. Weitere Belastungsquellen sind nicht bekannt.

Bei der Primärproduktion findet eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung statt (451). Allerdings sind die Tätigkeiten, der Rolle der Frau in der türkischen Gesellschaft entsprechend, hauptsächlich von niederer Qualität (411). Frauen und Mädchen sind in der Regel als Pflückerinnen beschäftigt. Als hauptsächlich von Männern verrichtete Arbeit wird die eigentliche Bestellung des Bodens angenommen. Letztendlich herrscht darüber wegen der fehlenden Daten aber Unklarheit. Ebenso verhält es sich mit der Datenlage bezüglich Gesundheit und Wohlbefinden der Arbeiter in der Primärproduktion.

Die Sicherheit (531) der Baumwollfarmer hängt stark vom Erfolg oder Mißerfolg der Ernte ab. Ein Schädlingsbefall der Felder oder Wetterschäden können die Existenz der Landwirte gefährden. Von ihnen sind darüber hinaus die Tagelöhner abhängig, die für die Dauer der Ernte ihr Quartier in den Anbaugebieten beziehen und im Akkord den Verdienst für den Rest des Jahres erarbeiten müssen. Ihre existenzielle Sicherheit ist mittelbar durch die Existenz der Farmer bedingt. Deren Sicherheit wiederum kann durch Abnahmegarantien seitens der Weiterverarbeiter erhöht werden. Volkswirtschaftlich ist die Türkei stark von den Deviseneinnahmen aus dem Baumwollanbau abhängig. Die Anpassung der Rohstoffpreise an die tatsächlichen Risikengif würde hier Abhilfe schaffen.

Da in der Türkei kein soziales Netz vergleichbar dem in der Bundesrepublik besteht und demzufolge die Arbeiter außerhalb der Saison nicht als Arbeitslose vom Staat unterstützt werden müssen, fallen externe Kosten (7211) nur im Umweltbereich an. Die Beeinflussung der Umwelt durch die großflächige Bodennutzung und die dadurch bedingte Verdrängung von Wildpflanzen und Säugern läßt sich nur schwer bewerten. Genauso verhält es sich mit den potentiellen Auswirkungen des hohen Wasserbedarfes (Versalzung etc.). Die Produktqualität (731) und -quantität der kontrolliert angebauten Baumwolle ist höher als bei derjenigen aus konventionellem Anbau [39]. Allerdings ist dafür häufig der Ertrag der organisch angebauten Baumwolle niedriger.

Das formelle Arbeitsvolumen (8111) ist nur bei den Pflückerinnen und Pflückern bekannt: 12 Stunden je Tag der Erntezeit. Über das Volumen der anderen Arbeiten und auch über informelles Arbeitsvolumen konnten keine Daten ermittelt werden. Im konventionellen Bewässerungsanbau wird mit 1500 Arbeitskraftstunden pro Jahr und Hektar bzw. mit 2200 Arbeitsstunden pro Jahr und Arbeitsplatz gerechnet.

Da keine Daten zur Produktionsmenge existieren, kann über den Kapitalaufwand (821) zur Primärproduktion ebenfalls keine gesicherte Aussage gemacht werden. Die weltweite Produktion im kontrollierten Baumwollanbau wurde für 1993 auf 8.000 Tonnen geschätzt [9]. Eine durchschnittliche Jahresgesamtproduktion an Rohbaumwolle macht etwa 19 Mio. Tonnen aus. In der Türkei wurden im gleichen Zeitraum 400.000 Tonnen Baumwollgarn und 344.000 Tonnen Baumwollgewebe produziert [19]. Anhand dieser Zahlen wird erkennbar, daß die Produktion im kontrollierten Anbau eine untergeordnete Rolle spielt.

Trotz der wegfallenden Ausgaben für Agrarchemikalien wird die Produktion wegen des Mehrbedarfes an Personal teurer sein als im konventionellen Anbau. Genaue Zahlen waren hierüber nicht zu ermitteln. Eine Konzentration (831) findet insofern statt, als regional ein Zusammenschluß der kleinbäuerlichen Betriebe erfolgt, deren Ernte garantiert abgenommen und lokal verarbeitet wird. Ähnliche Projekte sind bereits aus Ägypten [39] und Indien [48, 49] bekannt. Infolgedessen unterliegt Baumwolle aus biologisch-kontrolliertem Anbau nicht dem Wettbewerb: Der Anbau und die kontrollierte Produktion finden nur statt, weil schon vorher die Abnahme der Ernte garantiert wird und ein preislicher Rahmen abgesteckt ist. Die Ernte erscheint nicht auf dem freien Markt und muß sich nicht mit anderen Qualitäten messen. Unbeeinflußt vom Marktdruck können so die höheren Produktionskosten auf die Ware aufgeschlagen werden.


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Kai Altenfelder
Sat Jul 11 00:38:57 MET DST 1998
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