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Sozio-ökonomische Zusammenhänge im Baumwollanbau

Die Baumwolle ist eine sehr alte Kulturpflanze , die in China schon 3800 Jahre v. Chr. angebaut wurde. Im Abendland fand die Baumwolle erst im 13. Jahrhundert durch die Araber Verbreitung, vor allem in Spanien und Sizilien. Kurz darauf entwickelte sich Venedig zum Handelszentrum  für Baumwolle und ab dem 14. Jahrhundert wurde sie auch in Deutschland  verarbeitet. In der alten Leinenweberstadt Augsburg hatten hauptsächlich Kaufleute die quasi-industrielle Fertigung in die Hand genommen, weil die häuslich-handwerkliche Verarbeitung  durch die Zünfte  erfolgte und strengen Bindungen unterlag.

Durch die Entdeckung Amerikas wurden neben neuen Rohstoffquellen  auch riesige Anbauflächen  erschlossen, die sich durch ein Klima auszeichneten, das für den Baumwollanbau  vorteilhaft ist. In der neuen Welt  waren schon wilde Baumwollpflanzen  heimisch, so daß sich eine Baumwollindustrie rasch entwickeln konnte.   Aufgrund der harten Arbeit und des für weiße Europäer ungewohnten Klimas fanden sich bald immer weniger Arbeiter, die für den relativ geringen Lohn auf den Baumwollplantagen  arbeiten wollten. Deshalb wurden schwarze Sklaven aus Afrika entführt (,,schwarzes Gold``) und zur Arbeit gepreßt.

In Europa kam es, begünstigt durch den dreißigjährigen Krieg, zur Ablösung von Augsburg als der führenden Verarbeitungsstätte . Die englische und flandrische Textilindustrie    waren fortan führend in der Baumwollverarbeitung.  Mit der Gründung der englischen Ost-Indien-Kompanie  wurden ständig größere Mengen an Rohbaumwolle  und Halbware  aus den Erzeugerländern bezogen. Wegen des großen Angebotes fiel der Preis stetig. Trotz der hohen Kosten für den Seetransport  wurde so Englands heimische Flachs- und Schurwollindustrie langsam vom Markt verdrängt.

Der weitere Bedeutungsgewinn der Baumwolle war mit dem Voranschreiten der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert verknüpft:

1764
wurde die Spinnmaschine, 
1784
der mechanische Webstuhl und 
1794
die Entkörnungsmaschine  für Baumwolle
erfunden. Diese Maschinen  ermöglichten die industrielle Verarbeitung  der Baumwolle und Fertigung von Textilien in Fabriken durch Ungelernte, Frauen und Kinder . Allmählich wurde den Webern in den Erzeugungsländern die Existenzgrundlage entzogen, da die industrielle Fertigung wirtschaftlicher als ihre Handarbeit war. In Indien stand das Spinnrad  daher als Symbol der Eigenständigkeit im gewaltfreien Widerstand gegen die britischen Kolonialherren.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Baumwolle dann einen Anteil von 75 Prozent am jährlichen Weltfaserverbrauch . Etwa ab Mitte der siebziger Jahre wurden die synthetisch erzeugten Fasern  billiger als Naturfasern und die Anteile am Faserverbrauch  verschoben sich zu ihren Gunsten.

Der Anbau  der Baumwolle geschieht zum größten Teil in Entwicklungs- oder Schwellenländern.   Die flächenmäßig größten Anbaugebiete  liegen in Indien   mit 7,8 Millionen Hektar , gefolgt von China  mit 5,5 Mio. Hektar, den USA mit 4,8 Mio. sowie Brasilien  und Peru  mit jeweils 2,6 Mio. Hektar. Oftmals sind diese landwirtschaftlichen Flächen  besser zur Erzeugung von Lebensmitteln  geeignet. Vielfach sind die Böden aber auch schon derart verbraucht, daß nur noch Kunstdüngergaben  überhaupt Pflanzen darauf  gedeihen lassen.

In Ägypten, dem Sudan und dem Tschad stellt Baumwolle den wichtigsten          Exportartikel dar. Für Pakistan, den Iran, die Türkei und Syrien ist sie die wichtigste Devisenquelle . Dort sind die Farmer immer wieder auf erfolgreiche Ernten  angewiesen, meistens unter Einsatz aller verfügbaren Mittel. Die Agrarchemikalien  müssen teuer aus den westlichen Industriestaaten  eingekauft werden bzw. werden von westlichen Unternehmen vor Ort produziert. Da in den genannten Ländern in der Regel wesentlich weniger strenge Umweltgesetze  bestehen, wird in den Chemiewerken zur Erzeugung von Pflanzenbehandlungsmitteln  meistens nicht der Sicherheitsstandard eingehalten, der im Westen einzuhalten wäre. Dies ist für die Betreiberfirmen von wirtschaftlichem Vorteil, kann aber im Störfall  zur Katastrophe führen, wie der Unfall im Werk von Union Carbide im indischen Bhopal zeigte.

Die 32 Mio. Hektar,  auf denen weltweit Baumwolle angebaut werden, entsprechen 0,8 % der landwirtschaftlich nutzbaren Anbaufläche   der Erde. Auf ihnen werden 853.000 Tonnen (18 % des weltweiten Verbrauches/Jahr) Pflanzenbehandlungsmittel  ausgebracht - dies entspricht 26 kg/ha pro Jahr. Laut einer Befragung mexikanischer Landwirte machten 1985 die Ausgaben für chemische Erzeugnisse zum Pflanzenschutz  47 % der gesamten Anbaukosten  aus [16].

 [Pestizidausbringung auf konventionellangebautem Baumwollfeld]
Abbildung 3.8:  Pestizidausbringung auf einem konventionell angebauten Baumwollfeld in Kalifornien. Quelle: Zach Griffin/Patagonia

Bei einem unterstellten guten Jahresertrag von einer Tonne Baumwollfaser je Hektar Land (vgl. Tab. gif) könnten jährlich 32 Mio. Tonnen Rohbaumwolle produziert werden. Das International Cotton Advisory Committee (ICAC) gibt die 1995/96 produzierte Menge aber mit 19,2 Mio. Tonnen an. Bei einem derzeitigen (Dezember '95) Preis für Baumwolle von 2,60 DM/kg ergibt sich so ein Verlust von etwa 33,3 Mrd. DM pro Jahr, verursacht durch Schädlinge und Mißernten.

Um den ausländischen Betrieben wirtschaftlich attraktive Angebote unterbreiten zu können, sind die Arbeitsbedingungen  in den Erzeugerländern, gemessen an westlichen Standards, häufig katastrophal. Die Regierungen vieler Länder haben Exportförderungszonen  eingerichtet, in denen Löhne willkürlich festgelegt sind, keinerlei Arbeitsschutzmaßnahmen  ergriffen werden und Gewerkschaften  nicht existieren oder keine Handhabe haben. In der ,,Katunayake Free Trade Zone`` auf Sri Lanka  arbeiten 85.000 der insgesamt 400.000 Bekleidungsarbeiter an sechs Tagen in der Woche täglich zehn Stunden. Sie verdienen umgerechnet DM 75,- monatlich, haben keine Rechte und sind jederzeit fristlos kündbar. Viele der Arbeiter sind Kinder  unter vierzehn Jahren [40]. Allein für die Baumwollkultivierung,  ohne die anschließende Arbeitsschritte  Entkernen , Schälen  und Ölpressen,   werden für Ägypten, Sudan, China, Indien und Pakistan     zusammen etwa 10 Millionen Arbeitsplätze  geschätzt. Diese Schätzung beruht auf der Annahme von 1500 benötigten Arbeitskraftstunden  (Akh) pro Hektar   im Bewässerungsanbau  und jährlich 2200 Arbeitsstunden  pro Arbeitsplatz. Die Löhne in der Primärproduktion  in Indien und Pakistan liegen derzeit bei etwa DM 0,10 bis DM 0,15 je Stunde [11].


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Kai Altenfelder

Sat Jul 11 00:38:57 MET DST 1998 Ranking-Hits